Flüchtlinge Mitte der 50er Jahre in Herleshausen

- aus der Ostzone nach Westdeutschland -

- Polizeistation und Pater Heimo –


Herleshausen war zu der Zeit der einzige hessische Straßenübergang zur Ostzone und nach Westberlin. Die Gemeinde Herleshausen hatte damals keine Einrichtung oder Auffangstelle für Flüchtlinge aus der Ostzone.

Allerdings wurde der Grenzraum Herleshausen von Flüchtlingen aus der Ostzone besonders in Anspruch genommen, wohl weil man durch den bekannten Grenzübergang Herleshausen/Wartha bessere Möglichkeiten für den Fluchtweg erhoffte. So kamen die Flüchtlinge nach erfolgter Flucht auf die Polizeistation Herleshausen, wurden später nach Eschwege abgeholt, von dort wurden sie an das Durchgangslager in Gießen weiter geleitet.

Erst in der 2. Hälfte der 50er Jahre wurde in Herleshausen vom Roten Kreuz ein Heim errichtet, in dem u.a. Flüchtlinge, die in den Abendstunden Herleshausen erreichten, nächtigen konnten.


Wir hatten in der Zeit zuvor sehr oft Flüchtlinge in der Polizeistation, die von meiner Mutter verpflegt wurden. Das war für die Eltern aber selbstverständlich. Wirtschaftlich war das für eine Polizeifamilie damals nicht so einfach, der Vater verdiente knappe DM 400,00 im Monat.


Zumeist nutzten die Flüchtlinge die anbrechende Dunkelheit für die Flucht. Zuvor hatten sie sich in den Wäldern versteckt, oft viele Stunden um die Situation im Grenzabschnitt zu überblicken, die Streifentätigkeit der Vopo´s, die Zeitabstände der Kontrollgänge. Irgendwann in einem günstigen Moment wagte man die Flucht. So kamen die Flüchtlinge im Kielforstwald –oder durch die Werra- über die Grenze. Meistens waren es Zollbeamte, die die Flüchtlinge zur Polizeistation brachten. Die Flüchtlinge hatten kaum Gepäck. Man wollte im Osten nicht als „Reisender“ identifiziert werden, mit dem Verdacht auf West-Flucht.

Selten waren es zwei Personen die die Flucht wagten, zumeist waren es einzelne Flüchtlinge. Für eine einzelne Person war die Chance größer erfolgreich zu fliehen.


Ich erinnere mich an einen jungen Mann aus Sachsen, der sich zwei Tage unbemerkt im Wald an der Grenze auf Ostseite versteckt hielt und erst in der 2. Nacht die Grenze überschritt. Er habe weder Hunger noch Durst verspürt, vor der Angst erwischt zu werden. So sein Bekenntnis.


Sie hatten jetzt Hunger und Durst, oft nasse Klamotten auf dem Leib, mancher Flüchtling konnte seine Tränen nicht verbergen. So saßen sie in unserem Dienstzimmer, polizeilich war nicht viel zu erledigen, man nahm die Personalien auf. Die Dienststelle in Eschwege wurde wegen der Abholung informiert. Die Polizei hatte zu der Zeit nur begrenzte Fahrzeuge zur Verfügung, so betrug die Wartezeit oft mehrere Stunden.


Vorrang hatte jetzt die Versorgung und Hilfe für die Flüchtlinge. Die Polizeistation war in unserem Wohnhaus. Mein Vater ging in die Küche und bat meine Mutter etwas Essen und warme Getränke herzurichten.

Rühreier mit Bratkartoffeln, eine warme Suppe, ein Teller mit Wurstbroten und etwas Warmes zu trinken. So, wie es meine Eltern in diesen Fällen oft taten......


Aber es musste auch trockene Kleidung her, oft ein Schlafplatz für die Nacht, wenn eine Abholung aus Eschwege nicht mehr möglich war.

Ich denke diese Problematik war den Herleshäusern Bürger zu der Zeit weitestgehend unbekannt. Die lasen tags darauf in der Zeitung „...wieder ein Flüchtling im Raum Herleshausen durch die Werra...“. Sicherlich hätten die Herleshäuser etwas gespendet, aber ein Polizeibeamter konnte keine Haussammlungen vornehmen.....


Einige Versuche unternahm mein Vater, den evangelischen Gemeindepfarrer telefonisch um Hilfe und Unterstützung bei der Versorgung mit Kleidung usw. der Flüchtlinge zu bitten. Die Gespräche waren ganz schnell zu Ende, so kam von ihm die Antwort: „ich kann nicht helfen, keine Mittel, keine Unterstützung......“

Mein Vater hat nur zweimal den Versuch bei dem Pfarrer, Herrn M, unternommen, danach nicht mehr....


Alternativ blieb da der Anruf  bei der kleineren Kirchengemeinde in Herleshausen, bei dem katholischen Pfarrer Pater Heimo.

Nicht einmal wurde mein Vater bei seinem Hilferuf von ihm abgewimmelt. Im Gegenteil, hier praktizierte ein Gottesmann die praktische Nächstenliebe!

Für manchen Leser mag das pathetisch klingen, dazu muss man die Zeit und Umstände erlebt haben.

Pater Heimo ließ in keinem Fall auf sich warten, wenn er auf einen Notfall angesprochen wurde, er besorgte und brachte trockene Kleidung, schaffte auch Schlafplätze für die Nacht und versorgte die Flüchtlinge bis zur Abholung.


Für uns unvergessen, der Franziskaner Pater Heimo aus Herleshausen.


Bodo Ortmeier

Eschwege-Albungen

August 2014

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